Aris Kalaizis

Aris Kalaizis und die Orientierung der Bilder

Der gebürtige öster­reichis­che Aus­s­tel­lungs­mach­er Dr. Peter Ass­mann bes­chreibt in seinem Essay, die Schein­barkeit des Realen in den Bildern des Leipzi­ger Malers Aris Kala­izis. Somit soll­te die »eigene bilder­reiche Dunkelkam­mer« (Alfred Kubin) wesent­lich­er Best­andteil eines jeden Betrachters sein.

Aris Kalaizis, Detail: Die Wiederkehr eines Abschieds, 2010
Aris Kalaizis, Detail: Die Wiederkehr eines Abschieds, 2010

»So wie ich ohne­hin nur eine Kunst akzep­tier­en kann, die mir Entwürfe ein­er ander­en Welt offer­iert …«1 – in den Jahrzehnten sein­er künst­lerischen Bil­darbeit hat sich der Ver­treter der Neuen Leipzi­ger Schule, Aris Kala­izis, stets sein­en hier zit­ier­ten Worten gemäß, kon­sequent zu den Ange­boten ein­er ander­en Bild­welt hin ori­entiert, wie »anders« das bereits zuvor Erarbeitete und Gese­hene sich auch darstellt: wenn der Weg bereits intens­iv mit ander­s­far­bi­gen Zylin­der­hüten mar­kiert ist, wenn die beiden Dop­pel­gänger mit einem Zylin­der auf dem Kopf in jew­eils andere Rich­tun­gen auf­brechen (Manchester, 2009) – sog­ar wenn der Abschied klar niederges­chrieben scheint (Wieder­kehr eines Abschieds, 2010).


Stets gilt es zu warten, eine Form des Ankom­mens zu erleben und dann weit­er zu warten. Viele Worte und Gespräche lie­gen dazwis­chen, der Raum des Wartens wird wie sel­ten bei einem ander­en Bildkünst­ler so mit Worten gefüllt, wie hier: Erzählun­gen, die immer wieder (nur) mög­lich schein­en, Teile von Erin­ner­ungen, eigene oder auch bild­haft berichtete von Ander­en, wech­selnde Gefühlsla­gen, die nach Bes­chreibung und Aus­tausch drän­gen. Und doch gelingt es diesen Bildkon­stel­la­tion­en müh­elos, bei­nahe jedem Real­ität­szwang zu entkom­men, jeder bestim­menden Annäher­ung mit voller Offen­heit so zu begegnen, dass diese gleich­sam nicht ins Leere tönt, das »Nebensäch­liche« aus­s­par­end – als ob sich der Umge­bung­s­raum des Betrachters ver­dunkelt und der Vorhang sich vor ihm neu öffnet, das Schein­wer­fer­licht ange­ht und ein neues Bild­wirk­lich­keit­sange­bot gereicht wird.


Ja, Aris Kala­izis agiert durchaus als Regis­seur, er »regiert« souver­än in dieser sein­er Bild­welt, er leitet sie, geleitet sich und den Bild­be­trachter durch die Fülle der Ori­entier­ung­sange­bote, wieder­holt motiv­isch, ohne Sich­er­heit zu geben, rekur­riert auf Bekan­ntes, ohne dass umfassendes Wie­der­erkennen mög­lich ist und ver­wen­det (mög­lich­er­weise) alles und jeden als Requis­it für den »Entwurf ein­er ander­en Welt«, denn: »mein­en Vor­stel­lungen von Wahrhaftigkeit zufolge bin ich an Erfahrung interessiert.«2


Doch die Mög­lich­keit der Bild­beg­lei­tung ist immer gegeben, wie oft auch die eigen­en Vor­stel­lungen gleich­sam herauf­schwim­men, herauf­drän­gen mögen. Die »eigene bilder­reiche Dunkelkam­mer« (Alfred Kubin) jedes Betrachters ist wesent­lich­er Best­andteil der Kunstwirkung und auch Kun­st­gültigkeit der Bil­dre­gi­en von Aris Kala­izis – let­zt­lich wie bei jeder – »Wieder­kehr eines Abschieds«.

Aber es sind vor allem die Bez­iehungs­fra­gen, die sich per­man­ent in den Vorder­grund drän­gen, die beständig irrit­ier­en und die auch am »starken Selb­st­bezug der Figuren«3 rüt­teln, und ihn doch nur ein wenig aus­hebeln können: Es bleibt die größt­mög­liche Offen­heit der Zuord­nung­sentscheidun­gen, ihre Vorläufigkeit in jeder Intens­ität der gemal­ten Botschaften. Und es ver­sach­licht sich alles in diesen Bez­iehung­skos­mora­men, neigt sich hin zu ein­er Sch­weigsamkeit, die durchaus viele Wort­brück­en bein­hal­ten kann – »denn ich will ja an die geisti­gen Früchte der Betrachter«4.

Aris Kalaizis, Detail: Annett | Öl auf Holz | 125 x 120cm | 2012
Aris Kalaizis, Detail: Annett | Öl auf Holz | 125 x 120cm | 2012

Es ist gefähr­lich, ein her­unter­fal­lendes Mess­er fan­gen zu wollen, doch…


Den Betrachter dieser Bild­wel­ten, der seine »geisti­gen Früchte« in das eigene Schauen mit ein­bringt, führen diese Bil­dori­entier­ungen des Künst­lers beständig in die »Ander­swel­ten«, behut­sam, Sch­ritt für Sch­ritt, und mit großer Kraft angeso­gen von einem Real­ität­strieb, der sich weit mehr aus­dehnt als die ents­prechenden Kun­st­per­spekt­iven der Sur­real­isten oder der Hyper­real­isten – die ihm zugeord­nete Bezeich­nung »Sottorealismus«5 ver­weist auf eine Arbeit­sper­spekt­ive dar­unter, tieflie­gend in den Syn­apsen der stets an Wirk­lich­keiten ori­entier­ten Sinnge­bungs­ver­suche der mensch­lichen Bild­be­trach­tung. Als ob die Wirk­lich­keits­frage in Per­man­enz ver­tieft worden wäre, gelingt es Bildkünst­lern wie Aris Kala­izis – der hier am ehesten mit foto­grafis­chen Kun­st­posi­tion­en wie Gregory Crewd­son oder auch Jeff Wall ver­gleich- bar erscheint – Kom­posi­tion­en des Realen aufzubauen, die vor allem kon­sequent bohrenden Mod­ellcharak­ter haben: Ein­mal im Nahver­hält­nis zur Real­itäten­ver­s­chränkung ein­er Kin­os­itu­ation agi­er­end, konzentriert sich die erarbeitete Wahrnehmung­skraft immer mehr auf eine mög­lichst intens­ive Anschauung bis sich sämt­liche Sehen­er­gi­en des Betrachters (also gleich­sam nach innen wie nach außen) deck­ungsgleich zu einem Wirk­lich­keits­b­ild ergän­zen – ein­er Konzen­tra­tion von Wirk­lich­keit auf unter­schied­lich­sten Eben­en, offen und kom­pakt, zugleich in sich schlüssig. Par­al­lel jedoch zu den aufwendiger­en Inszen­ier­ungen, arbeitet Kala­izis seit 2008 an doch ungewöhn­lich dunklen Bildern in den­en das Darges­tell­te − bei­nahe etwas Beiläufiges, leicht zu Über­se­hendes auf­weist. In ihnen wer­den die Fig­uren und Gesichter in gedäm­pfter Far­bigkeit aus der Tiefe des Raumes heraus­geschält. Fast scheint es, als bemächtige sich dar­in die Sog­wirkung ein­er auf­steigenden Fin­sternis sein­er Fig­uren. Inner­halb des Gemal­ten kom­mt in ihnen (Frida, Annett, 2012), wie auch in ander­en Bildern, eine zur Dunkel­heit chan­gi­er­ende Het­ero­gen­ität des Far­bauftrages sow­ie der Pin­selführung zum Aus­druck, die auch in den aufwendiger­en Gemälden zu beo­bacht­en ist.

In beson­der­er Intens­ität ver­mit­telt Kala­izis dah­er eine Souver­än­ität des Boden­losen, das Selb­stver­ständ­liche des stets dar­unter Lie­genden, Schwebenden – vor allem dann, wenn es schon ein­mal woanders bei uns war und aus unser­er Sehn- sucht heraus noch präsenter gemacht wird, als es unsere ana­lyt­ische Logik wahr haben will: Auch Abschiede schaf­fen eine neue Nähe (Wieder­kehr eines Abschieds, 2010).


»Es ist gefähr­lich, ein her­unter­fal­lendes Mess­er fan­gen zu wollen, doch genau das ist es, was Kala­izis beständig untern­im­mt, wenn er bild­lich das Nor­male mit dem Anor­malen ver­s­chränkt und dam­it Span­nun­gen und Kon­f­likte erzeugt. Das Ergeb­nis ist immer ungewiss.«6 Doch es ist ein konkret vorges­tell­tes Ergeb­nis, eine sehr konkrete Bil­dori­entier­ung – abso­lut scharf und in die Tiefe führend. Der Betrachter kann sich gleich­sam viele Hüte auf diesen Weg sein­er Bild­wel­ten auf­set­zen, er kann so vieles immer weit­er ding­fest machen, um den­noch nicht defini­er­end anzukom­men – er bleibt ein Ori­entiert­er, der seine eigene Spur in den bild­haften Wirk­lich­keit­sweltange­boten ziehen muss…

Peter Assmann und Aris Kalaizis im österreichischen Museum Angerlehner, 2013
Peter Assmann und Aris Kalaizis im österreichischen Museum Angerlehner, 2013

Dr. Peter Ass­mann, geboren 1963, Stu­di­um der Kun­st­geschichte sow­ie der Geschichte und Ger­man­istik, arbeitet als Kun­sthis­toriker, Schrift­s­teller und bildender Künst­ler. Er war von 2000 – 2013 Direk­t­or der Ober­ös­ter­reichis­chen Landes­museen. Er gilt als Sachver­ständi­ger der itali­en­is­chen Kunst des 16. Jahrhun­derts sow­ie der inter­na­tionalen Kunst des 20. Jahrhun­derts. Seit 2016 leitet er das Museo Palazzo Ducale in Man­tua. Er lebt und arbeitet in Linz (Ö) und Man­tua (I).

1 Max Loren­zen: Mein Haupttrieb ist meine Ungeduld. Gespräch zwis­chen einem Philo­sophen und einem Maler, in: Aris Kala­izis. Mak­ing Sky. Eine Mono­grafie mit Werk­verzeich­nis, Hirmer-Vg. München 2009, Seite. 10.
2 Gespräch zwis­chen Aris Kala­izis und Jan Siegt, in: Aris Kala­izis. Ath­letik und Sin­nmon­arch­ie, Aus­s­tel­lung­skata­log, Leipzig (maerz­galer­ie) 2000.
3 Peter Schlüter: Vex­i­er­bilder des Unaus­ge­sprochen­en, in: Aris Kala­izis. Ungewisse Jag­den, Aus­s­tel­lung­skata­log, Mar­burg (Kun­stver­ein) 2005, Seite 9.
4 Gespräch zwis­chen Aris Kala­izis und Jan Siegt, in: Aris Kala­izis. Ath­letik und Sin­nmon­arch­ie, Aus­s­tel­lung­skata­log, Leipzig (maerz­galer­ie) 2000.
5 Car­ol Strick­land: Der Umweg als Weg zur Ein­heit und Ord­nung, in: Aris Kala­izis. Rub­ba­cord, Biele­feld-Leipzig 2006, Seite. 12.
6 Car­ol Strick­land: Wo die Schat­ten wohnen. Eine kunstwis­senschaft­liche Annäher­ung, in: Aris Kala­izis. Mak­ing Sky, Hirmer-Vg. München. Seite. 30.


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