Aris Kalaizis

Ich habe nichts zu sagen - Vielleicht male ich deswegen

Das Stadtmagazin KREUZER hat auf­grund zwei­er zeit­gleich in Leipzig und Ber­lin stattfind­ender Aus­s­tel­lungen, den Leipzi­ger Maler Aris Kala­izis u.a. nach den Börsen­wer­ten zeit­genöss­is­cher Lein­wände gefragt

Aris Kalaizis, Haus ohne Menschen | Öl auf Holz | 41 x 62 cm | 2008
Aris Kalaizis, Haus ohne Menschen | Öl auf Holz | 41 x 62 cm | 2008

kreuzer: Die bildende Kunst hat immer schon die schein­bar­en Gewis­sheiten der Wahrnehmung aufge­bo­hrt. Bietet in der momentan­en, nervösen Kris­en­at­mo­sphäre und der Erosion sta­bil wahr­gen­om­men­er Umwel­ten der Künstler/​die Kunst eine Mög­lich­keit, "Ver­wir­rung" als Ele­ment der Nor­mal­ität pos­it­iv in polit­ische und gesell­schaft­liche Diskus­sion­en einzuführen?


K: Wie wir gerade aus der jünger­en Geschichte des 20.Jahrhunderts wis­sen, hat Kunst oft ein­en kom­pensat­or­ischen Charak­ter bew­iesen und dadurch nicht sel­ten den Weg in das Andere, das Neue geeb­net. Im Grunde aber ist die Kunst doch immer eine Art Chif­frens­chrift des gesell­schaft­lichen Lebens gewesen, ganz gleich, ob man sich als Künst­ler der Prob­lem­atik gesell­schaft­lichen Daseins annim­mt oder verweigert.


kreuzer: Keine Polit­is­ier­ung der Ästhet­ik – d´accord. Ich möchte den­noch fra­gen, ob jen­seits schein­rel­ev­anter Nachricht­en vom Börsen­wert der Lein­wände und Objekte, nicht Kunst und mit ihr der Künst­ler sich viel mehr ein­mis­chen müsste in die Aus­gestal­tung ein­er zivilen Gesellschaft.


K: Du wirfst die Frage nach der Diskre­panz zwis­chen Ethik und Ästhet­ik auf, die sich aber so nicht stellt, da ich glaube, dass in jedem Gedi­cht und in jedem Gemälde auch ein bis­schen von der Mor­al steckt. Ich würde im Gegen­teil ohne­hin behaupten, dass wir im Kun­st­be­trieb eine Überre­präsentanz des Eth­is­chen erleben. Man schaue sich nur die wichtig­sten Grossauss­tel­lungen an. Aber auch immer mehr öffent­liche Aus­s­tel­lung­shäuser sehen sich diesem Ansatz ver­p­f­lichtet. Mir ist das alles viel zu ration­al­istisch, viel zu wis­senschaft­lich. Kunst hat doch nichts mit Wis­sen zu tun und Wis­sen primär nichts mit Kunst. Auch glaube ich, dass der Ges­tus der Avant­garde – sich gleich­zu­machen mit der Wirk­lich­keit – ver­braucht ist. Oft sehe ich in den Aus­s­tel­lungen keine Unter­scheidun­gen zwis­chen Journ­al­is­mus und Kunst. 


kreuzer: Der Kul­tur­wis­senschaftler Peter Slo­ter­dijk hat vor Jahren ein­mal behaup­tet: "Das Kunstwerk der Mod­erne ist ein Zeugnis dafür, dass mensch­liche Beiträge zum Glück mög­lich sind." Allerd­ings nach sein­er Mein­ung nur, wenn sie sich dem kom­merzi­el­len Kun­st­be­trieb äußer­lich hält, sonst "fal­tet sie ein".


K: Dem würde ich nur bedingt zus­tim­men, weil ich zun­ächst zwis­chen Kunstwerk und Künst­ler unter­scheiden würde. Ein Kunstwerk kann sich nicht dage­gen wehren, vom kom­merzi­el­len Kun­st­be­trieb auf­gen­om­men zu wer­den. Ein Künst­ler allerd­ings kann sich sehr wohl zu sein­er Markt­nachfrage pos­i­tionier­en. Er kann natür­lich – wie es oft geschieht – recht unre­flektiert im Hin­blick auf das eigene Werk, diesen Markt mit weit­er­en Bildern füt­tern. Ich habe für mich beschlossen, weni­ger Bilder – die umso aufwendi­ger herges­tellt wer­den – zu produzier­en. Ich verknappe, um in der Mehrzeit meine Bilder auf ein qual­it­at­iv höheres Level zu hieven. Auf’s Gan­ze betrachtet hat es sich immer gelohnt, innezuhalten.


kreuzer: In Dein­en Werken ist die Darstel­lung unentscheidbarer, irrit­i­er­ender und meist unter­gründig bed­roh­lich ver­strick­ter Bez­iehun­gen von Menschen zu Menschen zu Umge­bun­gen von zen­t­raler Bedeu­tung. Wor­an leidest Du? Spielst Du mit der Angst des Betrachters vor dem Abgrund? Oder »müsste heute«, um es mit Fran­cis Bacon zu sagen, »ein wirk­lich guter Künst­ler aus der … Situ­ation ein Spiel machen«?


K: Ich bin Epi­kur­äer. Ich bin kein Christ. Infolgedessen kön­nt’ ich alleine aus dem Leid keine Kraft bez­iehen. Ich muss stets ergrif­fen sein vom jew­ei­li­gen Sujet, sonst läuft nichts. Und das erreich’ ich nur durch eine Ergrif­fen­heit, die zur Freude bei der Umset­zung führt. Dabei ist es ganz gleich, ob ich etwas Hei­t­eres oder etwas Tra­gisches darstelle. Als mein Vater starb, glaubte ich auch, mein Leid durch Malerei bewälti­gen zu müssen. In der Folge entstand jedoch nichts, kein Blatt, kein Gemälde. Heute weiß ich, dass man sol­che Situ­ation­en zun­ächst für sich aus­h­al­ten muss, bevor sie zur Form gelan­gen können. Wer leidet, macht doch außer­dem andere leidend. 


kreuzer: Du betonst häufig, dass für dich for­m­ale Fra­gen wie Licht, Farb­wirkung, Kom­pos­i­tion etc. im Vorder­grund stehen und erst in zweit­er Linie die fig­ur­at­iven Kon­stel­la­tion­en in Dein­en Bildern. Kann man das so trennen?


K: Nun, die Fig­uren sind ja auch Teil der Kom­pos­i­tion aber im Grunde stim­mt es schon, dass für mich die ein­zelnen Fra­gen des for­m­alen Bildauf­baus dring­lich­er sind, wenngleich ich zugestehe, dass meine Bilder über die Jahre doch Erzählerischer geworden sind. Als Basis, als Grund blieb mir jedoch immer die Strenge des Bild­h­in­ter­grundes, der für mich mehr als bloße Kulisse ist, da er im weit­er­en Ver­lauf des Malens Zwis­chen­räume eröffnet. Oft variiere ich in diesen Zwis­chen­räu­men malerisch. Ziel ist die Kon­struk­tion eines erfunden­en Mik­rokos­mos, den es so in unser­er Welt nicht gibt, der aber den Anschein erweckt, als gäbe es ihn wirklich. 
Bildthe­men haben für mich nie die eine große Rolle gespielt. Ich hab’ kein­en Stoff der mich umtreibt und der schon gar nicht den Gelehrten befriedi­gen kön­nte. Also gilt es zu bestehen, dies kann aber das Vielfältig­ste her­vor­rufen. Auch habe ich nichts zu sagen, viel­leicht male ich deswegen.


kreuzer: Bei vielen Gele­gen­heiten erfreut sich Leipzig am Selb­st­b­ild ein­er kun­st­be­fördernden, kul­tur- und kun­st­sin­ni­gen Stadt mit ein­er beson­der­en Aus­strahlung. Die sogenan­nte Leipzi­ger Schule erfreut sich viel­er Fre­unde. Kannst Du das aus Dein­er Sicht bestätigen?


K: Leipzig ist weder eine Met­ro­pole, noch eine typisch deutsche Klein­stadt. Sie ist nicht zu klein und nicht zu groß – was für meine Art des Bil­der­malens nicht unwichtig ist. Sie ist – zum Glück – eine unfer­tige Stadt, in der das Mor­bide neben dem Neuen noch koex­istiert, mit ein­er guten über­schaubar­en Kul­turszene, einem großarti­gen Museums­bau – allerd­ings von einem mit­telmäßi­gen Museums­direk­t­or betrieben. Dieser Mann ist eine glatte Fehl­beset­zung! Man baut doch kein Museum für mehr als 60 Mio, um vor­ran­gig Aus­s­tel­lungen aus zweit­er und drit­ter Hand zu übernehmen. 


kreuzer: Haben sich seit dem eingangs erwäh­nten „Hype“ die Bedin­gun­gen für künst­lerisches Schaf­fen stark verändert?


K: Als ich in Leipzig 1992 mein Malere­istu­di­um anf­ing, interessierte sich kein Mensch für Malerei. Auch habe ich während der ges­amten Stud­i­en­zeit kein ein­ziges Bild verkaufen können. Trotz allem war der Entschluss zur Unzeit zu stud­ier­en abso­lut richtig, denn die fin­an­zi­el­len Umstände zwan­gen mich noch mehr, mein Pro­jekt vor­an­zutreiben und erst das machte mich robust. Heute weht an der HGB ein ander­er Wind. Eine stu­dentische Mehrheit wird mit ein­er deut­licher­en Ver­heißung auf Erfolg angezo­gen. Zu den Rundgän­gen wird da und dort gele­gent­lich über den Pre­is ver­han­delt und and den Wänden befin­d­et sich nicht sel­ten ein Pre­is­schild, was ich uner­träg­lich finde. Natür­lich braucht ein Stu­dent der Malerei auch Geld zum Leben. 
Das Prob­lem ist nur: Wenn das Geld vor dem eigent­lichen malerischen Entwurf kom­mt, sehen sich auf dem Weg befind­liche Stu­den­ten weni­ger genötigt, sich und ihre Arbeit zu hin­ter­fra­gen. Dass wir uns nicht falsch ver­stehen: Ich glaube nicht an den Bildung­swert von Armut, ich glaube nur daran, dass ein Jung­maler auch eine demut­sreiche Zeit erfahren haben muss, denn eine Nieder­lage kann ein­en eher auf den Weg brin­g­en, als der Erfolg, der oft leichtsin­nig macht. Wenn man später reift und auch ein bis­schen Glück hat, dann bekom­mt man alles wieder zurück. Und was gibt es denn schöneres für ein Menschen­leben, als so ein­er Tätigkeit nachzugehen …


©2009 Stephan Schward­mann | Aris Kala­izis (Quelle: Magazin KREUZER 04/2009)

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