Aris Kalaizis

Wunder, Engel und Dämonen

Ein Gespräch zwis­chen Eleni Galani und Aris Kala­izis über Engel, der Not­wendigkeit von Vor­bildern als Weg­beg­leit­er sow­ie dem Begriff des Sottorealismus

Markus Baaden, Modell, Freund und Engel
Markus Baaden, Modell, Freund und Engel

Galani: Du bist in Leipzig geboren. Heute wirst Du der Neuen Leipzi­ger Schule zugerech­net. Wie hast du für dich die Malerei entdeckt?


Kala­izis: Ich bin ein Spät­starter. Infolge dessen habe ich mit dem Zeichnen erst im Alter von 16 Jahren begonnen. Zuvor woll­te ich aber Rock­star wer­den. Blöder­weise spielte ich kein Instru­ment und ich merkte, dass ich mit Luftgi­tar­respielen nicht weit kom­men würde. Aber es war dam­als gleich­sam eine wichtige Zeit, weil mir – viel­leicht zu ersten Mal – die Schwere der Welt so manch Frage an mein eigenes Dasein aufer­legte. Ich spürte, dass die Kunst mir ein­en mög­lichen Aus­weg auf meine Fra­gen bot.


G: Deine Bilder sind fig­ur­at­iv, sie schein­en bei­nahe foto­grafisch gemalt und haben ein­en nar­rat­iven Charak­ter. Zudem gibst du dein­en Bildern Titel. Auf der ein­en seite kann ich ver­stehen, war­um du es lieber bevorzugst, deine Bilder nicht zu kom­men­tier­en. Ist es die Aufgabe des Künst­lers das Mys­teri­um zu ver­tiefen, anstatt es zu erklären?


K: Wenn Du in ein Res­taur­ant geh­st und eine Suppe löf­felst, fragst du auch nicht den Koch: Wie schmeckt deine Suppe? Wie die Suppe schmeckt, musst du beant­worten! Natür­lich weiß ich, dass sich die Künst­ler unser­er Zeit nicht sel­ten vor ihre eigen­en Bilder stel­len und diese uns zu erklären ver­suchen. Das ist aber ein unsin­ni­ger und let­zt­lich auch unkünst­lerischer Vor­gang, der manch­mal ein­fach auch dam­it zu tun hat, dass die gemacht­en Bilder ein­fach auch nicht stark genug sind, um ohne Erklärung oder Tex­tu­al­ität aus­zukom­men. Die Kun­st­geschichte lehrt uns auch, dass die großen Bilder doch auch über die Jahrhun­derte ohne die Erklärung ihr­er Demi­ur­gen zurecht kamen und kom­men. Künst­ler, die ihre Bilder erklären, agit­ier­en auch den Betrachter und hem­men ihn dadurch gleich­sam selbst akt­iv zu wer­den. Auf der ander­en Seite wird unser Bedür­fnis nach Erklärung geprägt durch die All­macht des Fernse­hens, das nun in alle Leer­stel­len der mensch­lichen Phant­as­ie dringt und diese bis in den let­zten Winkel unser­er Wahrnehmung belichtet. Das ist im übri­gen eine Tendenz, die auch in den Art­house-Fil­men zu beo­bacht­en ist. – Auch in ihnen wird zu wenig aus­ges­part, zu viel erklärt und ver­mit­telt. Daneben müssen wir auch fest­s­tel­len, dass heut­ige Menschen weni­ger lesen und sie sich alleine dadurch eines ganz wichti­gen Phant­asiemo­tors berauben. Der Grund, war­um ich keine State­ments liefere, ist recht ein­fach: Ich ori­entiere mich mit mein­en Bildern am mündig­sten, am aufgeklär­testen Bertrachter.


…wenn Du in ein Res­taur­ant geh­st und eine Suppe löf­felst, fragst du auch nicht den Koch: Wie schmeckt deine Suppe?


G: Du hast die meiste Zeit deines Lebens in Leipzig gelebt. Deine Eltern war­en griech­is­che Emig­ranten; Hast Du jemals Griechen­land besucht oder jemals in Griechen­land aus­ges­tellt? Gibt es noch Fam­i­li­en­mit­glieder die in Griechen­land leben? Ver­folgst du die griech­is­che Szene oder anders aus­gedrückt, was ver­bind­et dich mit diesem Land?


K: Ja, meine Eltern sind infolge des Paido­ma­soma von Nord­griechen­land (Evros) nach Mit­teleur­opa gelangt und ich darf sagen, dass mich Paido­ma­soma seit Jahren beschäftigt. Ich wün­sche mir, dass ich eines Tages reif genug sein werde, um diesen Stoff malerisch in ein wür­diges Gemälde umzu­set­zen. Na klar, Griechen­land besuche ich bei­nahe jedes Jahr. Es ist nicht nur das Land mein­er Eltern, es ist auch das Land meines Herzens. Nein, zu ein­er Aus­s­tel­lung ist es bis­lang noch nicht gekom­men, obwohl ich mir bei­nahe nichts sehn­licheres wün­sche. Ja, ich habe eine Tantchen, die in Thes­saloniki mit ihr­em Sohn lebt. Ich habe ihren Sohn, Jan­nis Kal­mazid­is, nach vielen Jahren in der ver­gan­gen­en Woche get­ro­f­fen. Jan­nis weilte in Deutsch­land, da er als Team-Coach der griech­is­chen Frauen-Nation­al­mannschaft im Vol­ley­ball mit sein­er Mannschaft gegen Deutsch­land spielte. Ich bin sehr stolz auf ihn!


G: In mehr­er­en dein­er Inter­views hast du erwäh­nt, dass du in dein­en frühen Jahren von dem barock­en Maler Jusepe de Rib­era sow­ie dem brit­ischen Künst­ler Fran­cis Bacon bee­in­flusst wurd­est. Kannst du erwähnen, welch andere Quel­len dich inspirieren?


K: Ver­gleiche sind wichtig und wenn man Anfang steht, sind Vor­bilder über­lebenswichtig. An ihnen kann man sich zun­ächst lern­end ori­entier­en, später merkt man aber, dass die Last ihr­er Errungenschaft zu sehr auf den eigen­en Schul­tern drückt, also muss man sich – so gut es eben geht – wieder von ihnen befreien. Bee­in­flussbar bleibt man hof­fent­lich ein gan­zes Leben! Leben heißt doch im Grunde: Mit­be­wegt sein. Wenn man dabei wach und aufmerksam nicht nur für die großen Dar­bi­e­tun­gen der Museen bleibt, son­dern auch für die klein­en Irrit­a­tion­en, mit den­en der All­tag aufwar­tet, hat man ein ganz gutes Rüstzeug für alles Zukünftige.


G: Du sieh­st dich nicht als Ver­treter irgendein­er Schule, oft wird dein aber Werk dem „magis­chen Real­is­mus“ zugeord­net. 2006 ver­wen­dete eine New York­er Kun­sthis­toriker­in erst­mals den Begriff „Sot­toreal­is­mus“, der als Gegensatz zum „Sur­real­is­mus“ ver­standen wer­den kann. Erste Frage: Akzep­ti­erst du den Begriff „Sot­toreal­is­mus“ in Bezug zu deinem Werk? Zweite Frage: Kannst du aus dein­er Sicht den Unter­schied zwis­chen den Begrif­fen „Sot­toreal­is­mus“ und „Sur­real­is­mus“ erläutern?


K: Es liegt nicht in mein­er Ver­ant­wor­tung, Kat­egori­en für meine Arbeit zu find­en. Aber nun ist der Begriff da und ich akzep­tiere den Neube­griff des Sot­toreal­is­mus. Viel­leicht auch, weil dieser bess­er als der existi­er­ende Begriff Real­is­mus, der die unver­stell­te Aneignung der Wirk­lich­keit impliz­iert, aus­zudrück­en ver­mag. Tat­säch­lich war­en die Begriffe Real­is­mus und Sur­real­is­mus in Bezug zu mein­er Arbeit nur begren­zt anwend­bar. Selbst der Sur­real­is­mus, der durch den Traum evoziiert über dem Wirk­lichen schwebt, ver­mochte dies nicht. Ich hatte oft ein ungutes Gefühl, als Real­ist oder Sur­real­ist bezeich­net zu wer­den. Der Sot­toreal­ismo ver­han­delt nun die Kat­egor­ie des Dar­unter oder bess­er des Dah­inter, den hinter oder unter dem darges­tell­ten Raum wird zumeist auf ein­en weit­er­en Raum ver­wiesen wird, der die End­lich­keit der Raumes auf­heben lässt, wie es Peter Ass­mann es aus­drück­en würde. Ich würde sagen, das Wun­derbare, das Numin­ose ist keineswegs nur eine Angele­gen­heit der ober­en Region­en, des Him­mels: Pilze wach­sen dicht am Boden und die Edel­sten unter ihnen wach­sen darunter. 


G: Die meisten dein­er Bilder ähneln Filmstills oder Inszen­ier­ungen. Dabei entstehen zumeist künst­liche Räume. Kannst du uns den Entstehung­s­prozess zu dein­en Bildern mitteilen?


…Sottorealismus:Pilze wach­sen dicht am Boden und die Edel­sten unter ihnen wach­sen darunter


K: Ich bin ein Maler der Anschauung. Um etwas überzeu­gend darstel­len zu können, bedarf es aus mein­er Sicht des genauen Stu­di­ums der Dinge. Dam­it ist im Grunde das Wesent­lich­ste umris­sen: Ein zuvor gebautes Mod­ell ermög­licht mir ein ruhiges Ange­hen. Steht das Mod­ell ein­mal, kann ich alle nöti­gen Ver­än­der­ungen ruhig und unaufgeregt ange­hen. Auf der ander­en Seite nützt das aufwendig­ste Mod­ell nichts, wenn die Kom­pos­i­tion, die ges­amte Bil­didee, die ja zuvor nur in meinem Kopf existiert, nichts taugt.


G: Es gibt eine Motive, die in dein­en Bildern wieder­kehren: Die Engel zum Beis­piel. Aus mein­er Sicht kön­nten sie sich auf das dämon­is­che alter, ver­gan­gen­er Zeiten bez­iehen. Das Wort δαίμων entwick­elte sich aus dem Verb daiesthai, das so viel wie teilen oder zu ver­teilen bedeutet. Engel hat­ten in nachantiker Zeit keine Kon­nota­tion des Übels oder der Böswil­ligkeit. ευ/​δαιμονία zum Beis­piel, war ein Syn­onym zum Glück oder Lebensglück. Bei Pla­to wird der Dämon als Gottes­in­spir­a­tion des Socrates bes­chrieben. Was machen die Engel in dein­en Arbeiten?

Detail (Engel) von Jusepe de Ribera
Detail (Engel) von Jusepe de Ribera

K: Ich den­ke, die Engel drück­ten schon immer die Sehnsüchte des Menschen aus. Bei Raf­fael und ander­en Malern sein­er Zeit gal­ten die Engel als die guten ver­mensch­licht­en Post­boten, die zwis­chen Erd- und Him­melreich inter­agier­ten. Das Allein­gute wie das Alleinsch­öne interessierte mich aber nie, infolge dessen sind all meine Engel etwas düster­er und dam­it viel­leicht auch etwas irdis­cher, weil sie ganz ein­fach mein­er Idee vom Menschen so bess­er ents­prechen. Mit der ευδαιμονία, mit der Glück­se­ligkeit oder der anti­ken Vor­stel­lung von der Lebenskunst kon­nte ich aber schon als Jugend­lich­er und gerade vor diesem Hin­ter­grund viel anfan­gen, da sie die Lehre von der Ver­ein­barkeit des Gegensätz­lichen ist. Wahrzun­eh­men und erkennen, dass ver­schiedene Polar­itäten in uns selbst wohnen und das es kein­en Sinn macht, die schein­bar neg­at­iven Motive aus­zublenden als etwas nicht zu uns Gehöriges. Liebe und Hass, Hoffnung und Enttäuschung, der Freiheits­drang sow­ie das Bedür­fnis nach Bindung sind ein­ander bedin­gende Wesen­heiten, die es gilt, in ein kreat­ives Span­nungs­ver­hält­nis zu über­führen. – Im All­tag und natür­lich vor der Staffelei!


G: Die Prot­ag­on­isten dein­er Bilder schein­en sich nicht bewusst zu sein, wie es weit­erge­hen kön­nte. Sind es unwis­sende Träu­mende oder sor­gen sie sich um ihre Zukun­ft oder gibt es ein­en ander­en Grund? Kannst du uns mehr über die Charaktere in Ihren Bildern erzäh­len? Füh­len sie sich einsam?


…ein kreat­ives Span­nungs­ver­hält­nis – Im All­tag und natür­lich vor der Staffelei


K: Ein Malere­is­pezi­fisches Prob­lem ist, dass ein­zel­ne Fig­uren zumeist als Aus­druck der Ver­ein­samung ver­standen wer­den. Und ich halte es auch für legit­im, dies so zu inter­pretier­en. Gleich­sam aber ich würde lügen, wenn ich behaupte, dies genau so inten­tiert zu haben. Sehen Sie: Ich habe 1998 in einem Dip­ty­chon meine Frau Annett mit mein­er Tochter Niki gemalt. Beide lachend in ein­er Bade­wanne lie­gend. Ein vorschnelles Mutter/​Tochter – Idyll kann schnell sug­ger­iert wer­den. Bei genauer­er Betrach­tung stellt man fest: Hinter dem Lächeln der Mut­ter steht der Tod und mit diesem klein­en Aus­druck ver­ändert sich ein gan­zes Bild. Das sind Kehrtwendun­gen, die ich mag – im Mel­an­chol­ischen wie im Humoresken!


G: Dich wird die Anwendung des Begriffes “wunder/​wonder” nicht über­ras­chen. Schließ­lich kom­mt das Wort „Wun­derbar“ auf einem dein­er Bilder vor. Ich ver­stehe, dass es keine reli­giösen Kon­nota­tion­en dazu gibt. Auf Eng­lisch das Wort“ Wun­der” hat drei ver­schiedene Bedeu­tun­gen: a) Ein uner­war­tetes Gefühl, das sich mit Bewun­der­ung ver­mis­cht durch etwas Frem­des oder let­zt­lich Unerklär­liches” b) der Drang zur Frage bzw. zum Wun­dern. Und c): Wie äußert sich das Wun­der für Sie?


K: Ich bin nicht ein­ver­standen war­um gerade das Bild Wun­derbar keine reli­giöse Bedeu­tung haben soll. Das große Mißver­ständ­nis ist, dass die Menschen die Wun­der den Wel­tre­li­gion­en über­lassen haben. Viel­leicht ist der Wun­sch nach dem Wun­der säku­lare Mys­tik. Ich weiß es nicht, was es ist. Ich glaube nur, dass im Streben nach dem Wun­der etwas allge­mein Mensch­liches liegt. Schließ­lich haben sich schon die Gnostiker mit der Seel­en­wan­der­ung des Menschen befasst.


G: Die Ein­bildung­skraft wurde dem Menschen gegeben, um ihn dafür zu entschädi­gen, was er nicht ist; ein Sinn für Humor, um ihn dafür zu trösten, was er ist, wie Fran­cis Fran­cis Bacon sagen würde. Kön­nte Kunst eine Art Prax­is, ein thera­peut­ischer Prozess für den Künst­ler sein, das Leben zu überstehen?


K: Das Thera­peut­ische set­zt ja bekan­nt­lich zumeist an ein­er – wie auch immer gear­teten – Störung an. Es mag Menschen geben, für die das Malen thera­peut­ischen Charak­ter hat. – Für mich jedoch nicht. Ver­mut­lich müsste eine Malerei, wenn sie thera­peut­isch betrieben würde, auch anders betrieben sein. – Ich weiß es ein­fach nicht, wie so etwas aus­se­hen müsste. Wesent­lich wichtigere Motive für das eigene Malen und Leben sind aber Arbeit und Askese, zumal ich dem Hei­len nie son­der­lich viel abgewinnen kon­nte. – Ver­mut­lich kom­mt dies aber noch. Eine nach vorne gelebte Selb­stübung zum Ziele der Selb­st­verbesser­ung ist zwar müh­se­lig, aber mitunter hil­freich in dem Bemühen um eine bewusstere Lebens­führung – Auch wenn ich es dar­in noch nicht weit geb­racht habe.


G: Was sind deine Pläne für die Zukunft?


K: Ich betrachte mich als ein­en, der am Anfang steht. Infolge dessen gehe ich dav­on aus, dass das Beste noch bevorsteht.


©2014 Eleni Galani | Aris Kalaizis

Elena Galani ist Museo­lo­gin und Schrift­s­teller­in. Sie wurde 1976 in Athen geboren. Sie stud­ierte Archäo­lo­gie und Kun­st­geschichte an der Kapod­istria Uni­versität Athen sow­ie an der Uni­versité de la Sorbonne/​Par­is und Museo­lo­gie an der Ecole du Louvre und der 
Uni­ver­sid­ad Autonoma in Bar­celona. Seit 2013 lebt sie in Frank­furt am Main. Sie schreibt als freie Journ­al­istin für ver­schiedene Kunst- und Lit­er­at­ur­magazine (bookpress.gr, Art22, diablog.eu etc.).

© Aris Kalaizis 2024